Okt
06

Politik und Corporate Citizenship

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Unser Milizsystem hat es in sich: In den Parlamenten unseres Landes sitzen mehrheitlich Volksvertreter, die ihr politisches Mandat im Nebenamt ausüben. Hauptberuflich sind diese Parlamentarier in Organisationen oder Unternehmungen tätig – als Angestellte oder Unternehmer.  Ganz automatisch und völlig natürlich sind sie somit auch Lobbyisten – in mehr oder weniger ausgeprägtem Masse. xuahgdsv3e

Wirtschaftliche Interessenvertretung und -bindung sind seit jeher ein fester Bestandteil unseres demokratischen Systems. Mehr noch: Es scheint in unserem Staatskonzept sogar explizit so gewollt, dass wirtschaftliche und andere Interessen von entsprechend geprägten Parlamentariern ganz direkt vertreten werden. Politik im Nebenamt hat denn auch eine schöne Tradition in der Schweiz. Manch ein Unternehmer hat sich in der Vergangenheit auf dem politischen Parkett engagiert und diese Tätigkeit auch als sozialverantwortliches Engagement oder als bürgerschaftliches Partizipieren seiner Unternehmung verstanden.  Politisches Mitwirken gehört also seit jeher zu den typischen Ausprägungen von Unternehmensbürgerschaft – neudeutsch: Corporate Citizenship.

Wie einst zu Zeiten der Patrons alter Schule zählt auch heute politische Partizipation zu den Elementen aktiver Corporate Citizenship eines Unternehmens. Sie ist neben konkretem regionalem, sozialem und ökologischem Engagement ein zunehmend wichtigeres Element in der strategischen Unternehmensführung. Hiermit meine ich nicht, dass jedes Unternehmen bestrebt sein sollte, Parlamentsvertreter unter seinen Mitarbeitenden zu haben. In erster Linie geht es mir hier um die ganze Vielfalt konkreter Möglichkeiten für die politische Einflussnahme und Partizipation von Unternehmen, die der Entscheidungsprozess in der schweizerischen Politik bietet.

Abgesehen von Anliegen mit ganz direktem Branchenbezug oder mit Regionalbezug zu Standort oder Zielmärkten eines Untenehmens gibt es weitere wichtige Themen, welche die politische Involvierung eines Unternehmens verdienen. Mir scheint dies umso wichtiger, als insbesondere die grossen Herausforderungen der Gegenwart (Klima, Energie, Standortentwicklung, Public Health, demografische Entwicklungen, Migration u.a.m.) ohne das aktive Mitwirken der Wirtschaft nicht lösungsorientiert angegangen werden können.

Leben die Unternehmen dabei auch konsequent die in ihren Corporate Governance Richtlinien festgeschriebene Transparenz, so erachte ich Vorwürfe von “Wirtschaftsfilz”, “Ökofraktion” und ähnliche Pauschalbezeichnungen für völlig unangebracht. Im Gegenteil: Ich bin der festen Überzeugung, dass aktive Partizipation von Unternehmen an politischen Entscheidungsprozessen ein Ausdruck von “mündiger Unternehmensbürgerschaft” , also von gelebter Corporate Citizenship darstellt. Und der Abbau entsprechender Berührungsängste bei Entscheidungsgremien in Unternehmen muss daher generell ein Ziel sein. 

Transparenz in der Politik schafft hier nicht nur Vertrauen in die Mechanismen politischer Entscheidungsfindung. Sie baut zudem auch Hürden ab, die Unternemen und Organisationen noch davor zurückschrecken lassen, politisch aktiv zu werden und endlich eigene Public-Affairs-Strategien zu entwickeln. Ja, denn standhaftes Abseitsstehen von Unternehmen in politischen Themen wirkt schnell nicht mehr als nüchtern-professionelle Abstinenz, sondern kann als gesellschaftliche Indifferenz und politische Ignoranz verstanden werden, die über kurz oder lang auch wirtschaftlich ins Abseits führen.

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Kommentare

  1. Derweil ich Dir zustimme, lieber Markus, wage ich mal eine These: Die Patrons, die Unternehmen führten, den Rang eines Obersten bekleideten und im Nationalrat sassen lebten in einem überschaubaren geographischen Wirkungskreis. Sie konnten den Folgen ihres Handelns nicht entgehen, und darum engagierten sie sich für das Ganze (natürlich immer auch zum damit kombinierten eigenen Vorteil, das ist ja normal). Heutige Spitzenführungskräfte leben in einer globalisierten Wirtschaft – und sie sind völlig entwurzelt. Sie entscheiden heute in Peking und morgen in New York, die Folgen ihres Handelns bleiben für sie virtuell. Und sie sind sich gewohnt, ihre Ziele auf dem Wege des Deals zu erreichen. Ist es da ein Wunder, dass sie sich Politik kaufen wollen? Eine Politik, die ihnen schon im Ansatz fremd ist, weil letztlich immer lokal?

    Umso wichtiger sind Lobbyisten… aber solche, die nicht irgendwelchen klandestinen Plänen huldigen, sondern solche, die sich als Transmissionsriemen zwischen Wirtschaft und Staat verstehen.

    LG, Mark

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  2. Mark, ich bin weit davon entfernt, die erwähnten Patrons zu idealisieren. Mir ging es hier vorerst darum, anhand ihres Beispiels aufzuzeigen, dass politische Partizipation auch in der Schweiz seit jeher gelebter Bestandteil von CC ist. Wie man als Unternehmung heute politisch aktiv sein und wie man am Entscheidungsprozess Einfluss nehmen kann oder soll, wollen wir ja eben hier diskutieren…
    Die Nutzung von Lobbying-Dienstleistungen ist da eine der Möglichkeiten, die als Instrument Teil eines ganzen Sets von möglichen Aktivitäten darstellt.

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