Aug
30

Mehr Lobbyisten als Parlamentarier?

von

Gastbeitrag von Ständerat Bruno Frick (CVP/SZ)

Überraschungen gibt es nach 18 Jahren Ständeratsarbeit noch immer. Diese Sommersession war die aufreibendste. Nicht nur in meiner Erfahrung, sondern seit Bestehen des Ständerates. Während dreier Wochen tägliche Sitzungen und Beratungen. Sie beginnen morgens in der Regel um sieben Uhr und enden abends nach acht Uhr. Kaum Pausen, etwas zu essen. Und fragen Sie mich bitte nicht, wie das Wetter in Bern die vergangenen drei Wochen war. Ich weiss nur, dass ich meinen Regenmantel nur einmal anzog.

Was ist denn los in Bern? Ich stelle drei Gründe fest: Viele grosse Geschäfte sind gleichzeitig reif geworden, doch der Ständerat neigt neuerdings ebenfalls zu Hyperaktivität und vor allem zu Geschwätzigkeit. Noch nie habe ich erlebt, dass so viele anspruchsvolle und gewichtige Geschäfte im Ständerat in einer Session gleichzeitig anfielen: grosse Mehrwertsteuer-Reform, Arbeitslosenversicherung, AHV-Revision, Kulturförderung und Pro Helvetia, Dauerbrenner Krankenversicherung, Aktienrecht. Hinzu kommen zwei Volksinitiativen und zahlreiche weitere Geschäfte, die vorbesprochen und beraten sein sollen.

Zahl der Lobbyisten steigt

Noch nicht genug. Selbst Ständerätinnen und Ständeräte zeigen sich neuerdings hyperaktiv. Mehr als achtzig persönliche Vorstösse (Motionen, Postulate und interpellationen) von Ratsmitgliedern sind zu beraten. Wenn jeder im Schnitt nur eine Viertelstunde beansprucht, werden daraus zwanzig Sitzungsstunden.

Woher diese Flut? Die Antwort ist einfach. Die Zahl der Lobbyisten – Verbandsvertreter, Kommunikationsberater – steigt im Bundeshaus stetig. Nun liegt offenbar ihre Zahl schon wesentlich höher als die der 246 National- und Ständeräte. Lobbyisten brauchen gegenüber ihren Auftraggebern Leistungsausweise. Und die besten sind Einfluss bei Gesetzesberatungen oder eben persönliche Vorstösse, um ein Thema aufs Tapet zu bringen. Wenn sich die Lobbyisten nicht selber zurücknehmen, wird die Zahl der Zulassungen beschränkt werden. Schade, sie sind nämlich nötig. indem sie die Information gebündelt überbringen und so Grundlagen für unsere Meinungsbildung und Entscheidfindung vermitteln. Ich erlebe es nicht so, dass sie uns überschwatzen wollen. Das gelänge auch nicht. Doch wir sind auf Argumente von Fachleuten und Betroffenen angewiesen. An uns ist es, sie zu gewichten und uns zu entscheiden.

Vor wenigen Jahren waren die Lobbyisten an zwei Händen abzuzählen. Heute will jede Organisation und jedes grosse Unternehmen sich im Parlament direkt vermitteln. Entsprechend steigt auch der zeitliche Druck. Ein Jahrmarkt in Wandelhalle und Vorzimmern ist entstanden. Alle wollen uns sprechen und ihre Argumente zu irgend einem Thema präsentieren. Täglich könnte ich an 20 Informationsveranstaltungen teilnehmen, täglich werde ich in zwanzig Gespräche verwickelt.

Redeflut nimmt zu

Der dritte Grund unserer Überlastung ist die eigene Redelust der Ständerätinnen und Ständeräte. Die gute Regel, dass nur das Wort ergreift, wer zusätzlich ein wichtiges Argument oder einen neuen Gesichtspunkt beitragen kann, ist mittlerweile die Ausnahme. Wer in der Kommission einige Tage für eine Sache aufgewendet hat, erliegt zu oft dem Bedürfnis, all seine Gedanken im Rat darzulegen. Bei der Eintretensdebatte zum neuen Aktienrecht führte dies zu einer fünfstündigen Redeflut, obwohl die wichtigen Argumente nach einer halben Stunde klar waren.

Die grösste Qualität des Ständerates lag bisher in der freien Redezeit seiner Mitglieder und im gegenseitigen Zuhören. Die Meinungsbildung findet – ganz im Gegensatz zum Nationalrat – weitgehend im Rat selber statt, nicht ausserhalb in Wandelhalle, Vorzimmer und Einzelgesprächen.

Doch wer ist schon imstande, von Montag bis Donnerstag täglich während zehn Stunden zuzuhören und sich sachlich eine Meinung zu bilden? Die Folge der vielen Vorstösse und der langen Reden werden vermehrt Absenzen im Rat sein und die Meinungsbildung ausserhalb. Wie es im Nationalrat täglich geschieht, wo niemand der Rede des anderen zuhört und kaum ein Votum den Rat beeinflussen oder umstimmen kann.

Wir stehen an einem kritischen Punkt. Wenn die Freiheit nicht mit Selbstkontrolle gepaart ist, werden Reglemente und Redezeitbeschränkungen die Folge sein.

Über die Geschäfte des Bundeshauses schreibe ich diesmal nicht. Auch mein Kopf raucht. Ich habe genug davon gehört. Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben sich als politisch Interessierte über vieles in Fernsehen, Radio und diversen Zeitungen informiert.

Ich wünsche ihnen einen guten Sommer und erholsame Ferien – bis zur Herbstsession im September!

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Kategorien : Lobbying

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