Warum eine moderne Demokratie Lobbyisten braucht
Ein Plädoyer für Lobbyisten
POSITION STATEMENT von Andreas Hugi
Blenden wir kurz zurück in den bei uns allen weit zurückliegenden Staatskundeunterricht: Die altrömische Republik und das Staatsverständnis der französischen Revolution haben ein Bild vom Staat gefestigt, dass davon ausgeht, dass dieser Staat im Sinne aller handelt und das Gemeinwohl aller anstrebt, in den Worten Jean-Jacques Rousseaus: „la volonté générale et la volonté des tous“. Das deutsche Staatsverständnis wurde mit Hegels Formeln von der „Sittlichen Reinheit des Staates“ in dieselbe Richtung gefestigt. Die Angelsachsen hatten hier schon seit jeher ein anderes Verhältnis zum Staat, der primär als Bedrohung respektive als etwas Einzuschränkendes angesehen wurde. Auch die amerikanische Verfassung atmet das Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und unser alemannisches, schweizerisches Staatsverständnis geht in die gleiche Richtung. Ein schönes Beispiel dafür ist unser Vernehmlassungssystem, welches es allen interessierten Interessensgruppierungen – also Lobby-Organisationen! – erlaubt, zu einem neuen Gesetz vor dem parlamentarischen Prozess Stellung zu nehmen. Auch unser Referendums- und Initiativrecht ist eine starke Interventionsmöglichkeit, wie geschaffen für politische Lobbygruppierungen und pressure groups.
Wir Schweizer sehen den politischen Prozess in der Schweiz eher als Abgleich von unterschiedlichen Interessen, denn als Heilsbringungsprozess einer Kaste. Dass Parlamentarier gleichzeitig Verbandssekretäre, Unternehmer, Angestellte, Gewerkschafter oder Bauernvertreter sind, ist in unserem Verständnis des Milizsystems keinProblem. Unsere Parlamentarier vertreten eigene Interessen, die sie sorgsam in einer Liste der Interessensbindungen offenlegen, und das ist für die Mehrzahl der Bürger unseres Landes so in Ordnung. Dies bedeutet aber auch, dass wir an die Politik nicht den Anspruch haben, dass sie „das Allgemeinwohl“ vollumfänglich erkennen und vertreten kann
Und hier kommen wir zur Nützlichkeit der Lobbyisten: Wenn es denn so ist, dass nicht nur eine „erleuchtete Kaste“ elitärer Politiker weiss, was gut für unser Land und die Bürger ist, dann kann nur das Wechselspiel von Interessen die für das Land „gute Politik“ bringen und legitimierte Resulate hervorbringen. An diesem Wechselspiel können und sollen aber alle Organisationen, die sich betroffen fühlen, teilnehmen. Lobbyisten öffnen diesen demokratischen Meinungsbildungsprozess zudem auch gegenüber denjenigen Organisationen, Firmen und Gruppen, die nicht bereits fest in unserem politischen System verankert sind. Das stört im Übrigen die wenigsten Politiker – die kennen diese Mechanik zu genüge. Stossen tun sich daran nur einige Medienschaffende.
Zusammengefasst: Lobbyisten sind nützlich und legitim. Sie sind Bestandteil eines demokratischen Meinungsbildungsprozesses. Man kann sogar zugespitzt sagen: Das Mitwirken von Organisationen und Firmen an der Ausgestaltung des sie beeinflussenden und regulierenden politischen Umfeldes ist nicht nur legitim, sondern gehört zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht. Bis vor etwa 10 Jahren verfügten viele Firmen und Organisationen über ihre eigenen Kanäle in unser politisches System – man nannte das seit den Achtzigerjahren Filz und verdammte es. In der Folge wurde auch das kleinste politische Engagement von Kadermitgliedern aufgrund von Effizienzüberlegungen in vielen Firmen nicht mehr gerne gesehen (neudeutsch “corporate governance” genannt). Die Folge davon ist, dass viele Brücken zwischen der Wirtschaft und der Politik unwiderruflich abgebrochen wurden. Lobbyisten funktionieren deshalb heute als Brückenbauer und Übersetzer zwischen diesen beiden Welten, die sich ohne Hilfe nicht mehr kennen und nicht verstehen würden.