Archiv für August, 2009
Gastbeitrag von Ständerat Bruno Frick (CVP/SZ)
Überraschungen gibt es nach 18 Jahren Ständeratsarbeit noch immer. Diese Sommersession war die aufreibendste. Nicht nur in meiner Erfahrung, sondern seit Bestehen des Ständerates. Während dreier Wochen tägliche Sitzungen und Beratungen. Sie beginnen morgens in der Regel um sieben Uhr und enden abends nach acht Uhr. Kaum Pausen, etwas zu essen. Und fragen Sie mich bitte nicht, wie das Wetter in Bern die vergangenen drei Wochen war. Ich weiss nur, dass ich meinen Regenmantel nur einmal anzog.
Was ist denn los in Bern? Ich stelle drei Gründe fest: Viele grosse Geschäfte sind gleichzeitig reif geworden, doch der Ständerat neigt neuerdings ebenfalls zu Hyperaktivität und vor allem zu Geschwätzigkeit. Noch nie habe ich erlebt, dass so viele anspruchsvolle und gewichtige Geschäfte im Ständerat in einer Session gleichzeitig anfielen: grosse Mehrwertsteuer-Reform, Arbeitslosenversicherung, AHV-Revision, Kulturförderung und Pro Helvetia, Dauerbrenner Krankenversicherung, Aktienrecht. Hinzu kommen zwei Volksinitiativen und zahlreiche weitere Geschäfte, die vorbesprochen und beraten sein sollen.
Zahl der Lobbyisten steigt
Noch nicht genug. Selbst Ständerätinnen und Ständeräte zeigen sich neuerdings hyperaktiv. Mehr als achtzig persönliche Vorstösse (Motionen, Postulate und interpellationen) von Ratsmitgliedern sind zu beraten. Wenn jeder im Schnitt nur eine Viertelstunde beansprucht, werden daraus zwanzig Sitzungsstunden.
Die USA liessen sich Zeit, den Umgang der Lobbyisten im Parlament zu regeln: Erst 1995 erliess der US-amerikanische Kongress den sog. „Lobbying Disclosure Act” (LDA), welcher Lobbyisten verpflichtet, sich bei den Parlamentsdiensten halbjährlich zu registrieren. Unter dem Einfluss des Skandals um den Lobbyisten Jack Abramoff wurde im Frühling 1996 zudem der “Legislative Transparency and Accountability Act” erlassen. Darin wurden u.a. Geschenke und Einladungen zu Essen und Reisen für Parlamentarier verboten. Dieses Gesetz wurde 1998 technisch angepasst: Nun waren registrierte Lobbyisten verpflichtet, ihre grösseren Einkünfte anzugeben sowie die Gesetze, bei denen sie Einfluss nahmen. Auf der Website des Senates kann jedermann die deklarierten Einkünfte und Auftraggeber der akkreditierten Lobbyisten einsehen. Neben dem offiziellen Lobbyregister gibt es analoge Register von NGO’s, welche die Daten des offiziellen Lobbyregisters separat publizieren und ergänzen. Das bekannteste ist dasjenige von opensecrets.org, dem „center for responsive politics”. Zusammenfassen kann gesagt werden, dass die USA ihr unverkrampftes Verhältnis zu den Lobbyisten durch eine maximale Transparenz geregelt hat, die aber offensichtlich eine Vielzahl von Nischen offen lässt. Es wird interessant sein zu beobachten, inwieweit Präsident Obama sein Versprechen, die Lobbyisten stärker an die Kandare zu nehmen, auch tatsächlich umsetzen wird.
Unklare Transparenz-Diskussion in der EU erst am Start
Die Debatte um Kontrolle und Registrierung von Lobbyisten bei den EU-Institutionen ist noch sehr jung: Sim Kallas, EU-Kommissar für Verwaltung, Audit und Betrugsbekämpfung hat am 3. März 2005 in einer Rede an der Nottingham University Business School erstmals die Idee einer Initiative für mehr Transparenz vorgestellt – die „European Transparency Initiative“ (ETI). Erst am 23. Juni 2008 hat die EU-Kommission ein freiwilliges Lobbyisten-Register eröffnet, das die Beziehungen zwischen Lobbys und Kommission transparenter machen soll.
Aktuell ist in verschiedenen Medien wieder einmal Lobbyisten-Schelte angesagt: Die öffentlichkeitsscheuen, intransparenten Einflüsterer in der Wandelhalle mauscheln, schmieren und vertuschen was das Zeug hält – könnte man meinen, wenn man Blick, Sonntag und Co. liest. Als Lobbyist, der zu dieser Berufsbezeichnung steht, wage ich es, eine Lanze für meinen Berufsstand zu brechen: Unsere schweizerische Vernehmlassungsdemokratie ist wie geschaffen für politische Lobbygruppierungen und pressure groups. Das wurde bewusst so angelegt und ich behaupte, unsere Politiker haben deshalb mit Lobbyisten in der Regel kein Problem, sondern nehmen sie im Gegenteil als nützlich und sinnvoll wahr. Wir Schweizer sehen den politischen Prozess in der Schweiz sowieso eher als Abgleich von unterschiedlichen Interessen, denn als Heilsbringungsprozess einer Kaste. Dass Parlamentarier gleichzeitig Verbandssekretäre, Unternehmer, Angestellte, Gewerkschafter oder Bauernvertreter sind, ist in unserem Verständnis des Milizsystems kein Problem. Unsere Parlamentarier vertreten eigene Interessen, die sie sorgsam in einer Liste der Interessensbindungen offenlegen, und das ist für die Mehrzahl der Bürger unseres Landes so in Ordnung. Dies bedeutet aber auch, dass wir an die Politik nicht den Anspruch haben, dass sie „das Allgemeinwohl“ vollumfänglich erkennen und vertreten kann.
Und hier kommen wir zur Nützlichkeit der Lobbyisten: Wenn es denn so ist, dass nicht nur eine „erleuchtete Kaste“ elitärer Politiker weiss, was gut für unser Land und die Bürger ist, dann kann nur das Wechselspiel von Interessen die für das Land „gute Politik“ bringen und legitimierte Resulate hervorbringen. An diesem Wechselspiel können und sollen aber alle Organisationen, die sich betroffen fühlen, teilnehmen. Lobbyisten öffnen diesen demokratischen Meinungsbildungsprozess zudem auch gegenüber denjenigen Organisationen, Firmen und Gruppen, die nicht bereits fest in unserem politischen System verankert sind. Das stört die wenigsten Politiker – die kennen diese Mechanik zu genüge. Stossen tun sich daran nur einige Medienschaffende. Zusammengefasst: Lobbyisten sind nützlich und legitim. Sie sind Bestandteil eines demokratischen Meinungsbildungsprozesses. Man kann sogar zugespitzt sagen: Das Mitwirken von Organisationen und Firmen an der Ausgestaltung des sie beeinflussenden und regulierenden politischen Umfeldes ist nicht nur legitim, sondern gehört zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht.
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Gastbeitrag von Lukas Golder, gfs.bern
Geld ist ein Machtmittel, aber die Demokratie ist nicht käuflich. In diesem Zusammenhang sollte man auch mit populären Irrtümern rund um Lobbyismus aufräumen. Zwei Gegenthesen.
1. Populärer Irrtum: Bezahlte Interessenvertretung ist korrupt
Medien berichten über Interessenvertretung manchmal so, als ob Bezahlung für eine bestimmte professionelle Stellungnahme und Einflussnahme in das politische Geschehen das Gleiche wie Korruption ist. Sie sollten es besser wissen: Ich wünsche auch Medienschaffenden, dass sie für ihre professionelle Leistung bezahlt werden. Und ich hoffe, dass Medienschaffende genauso wie Lobbyisten nicht korrupt sind. Der Fehlschluss ist vorgelagert. Wenn sich Akteure entscheiden, Geld in die Hand zu nehmen, um ein politisches Anliegen zu vertreten, dann tun sie dies nicht, um zu korrumpieren, sondern um ihrem eigenen Interesse genügend Gehör zu verschaffen. Es gibt zwar einen vermuteten Zusammenhang zwischen “lauter” und “überhaupt” gehört werden und der Interessenrealisation. Aber ein Akteur, der in einem fairen Geschäft legitime Mittel in die Hand nimmt, um seinem Interessen Gehör zu verschaffen, tut nicht, weil er etwas zu verbergen hat. In dem Fall wählt er nämlich tatsächlich besser die Korruption. In so einem Prozess sind “Have-Nots” schlechter gestellt: Interessen, die sich nicht mit Geld finanzieren lassen. Deshalb braucht es auch Korrektive: Nichtregierungsorganisationen oder freiwillig politische Aktive im Milizsystem und Medien, welche solchen Interessen Gehör verschaffen. Auch Medien machen nicht etwas völlig anderes als Lobbyisten. Sie verschaffen Anliegen Gehör. Manchmal helfen sie auch mit, Interessen zu realisieren. Das wichtigste Korrektiv ist aber das Volk. Wenn es sich von gewissen Interessen nicht überzeugen lässt, dann stellt es sich als letzte Instanz dagegen. Das ist schon oft passiert. Im Wettstreit der Meinungen und Interessen spielen Medien und Lobbyisten eine wichtige Rolle. In einem frühen Prozess der Meinungsbildung ist das gut so. Dass auch Interessen vertreten sind, wo Gewinne und damit Geld erwirtschaftet wird, muss gar nicht schlecht sein. Neben einem starken politischen System braucht es auch eine starke Wirtschaft, die Geld erwirtschaftet. Egal in welchem Sektor und mit welchem Produkt. Die Realität zeigt, dass vor allem junge und innovative Branchen auf professionelle Lobbyarbeit zurückgreifen, weil sie noch nicht fest in das politische System eingebunden sind. Wer also auf Lobby-Profis schiesst, meint eigentlich junge und innovative Wirtschaftszweige.
Meine Antithese zum ersten populären Irrtum: Unternehmen, die innovativ, erfolgreich und an der Schweizer Gesellschaft interessiert sind, entscheiden sich oft für eine bezahlte Interessenvertretung. Korruption ist der verbotene Weg der Erfolglosen.
2. Populärer Irrtum: Lobbyismus ist intransparent.
Seit Jahren vertreten wir die These, dass Campaigning und Lobbyismus enger zusammen wachsen müssen. Der Teil der öffentlichen Meinungsbildung über Massenmedien und der Interessenbündelung in einer frühen Phase des öffentliche Handelns wachsen immer näher zusammen. Macht gewonnen haben in diesem Prozess primär die Massenmedien. Erfolgreiche Lobbyisten arbeiten heute demnach nicht mehr nur in der Lobby. Sondern sie begeben sich in die grosse, offene Arena der massenmedialen Meinungsbildung. Selbstverständlich legen sie dabei nicht immer alle Karten offen. Politik ist ein komplizierteres strategisches Spiel als Poker und oft geht es auch um mehr als nur um Geld. Deshalb verwundert es nicht, wenn manchmal gewisse Karten verdeckt bleiben oder sogar noch ein Ass im Ärmel steckt. Statt dem Irrtum der fehlenden Transparenz zu erliegen, würden Massenmedien besser nach den versteckten Karten suchen. Das macht mehr Spass.
Meine Antithese zum zweiten populären Irrtum: Lobbyisten, die innovativ, erfolgreich und an der Schweizer Gesellschaft interessiert sind, operieren clever und nicht von Anfang an völlig transparent. Sie setzen aber verstärkt auch in einer frühen Phase der Meinungsbildung auf den öffentlichen Meinungsmarkt.
Der Verhaltenskodex der EU-Lobbyisten mag vielleicht etwas schwülstig abgefasst sein, er gibt aber gut die wesentlichen Grundsätze wieder, nach welchen Lobbyisten auch hierzulande arbeiten sollen (und es in der grossen Mehrheit der Fälle auch tun). Die Initianten von wandelhalle.ch unterstützen diesen Kodex und arbeiten nach seinen Grundsätzen. Zusammengefasst lauten die wesentlichen Eckwerte dieses Kodex:
- Lobbyisten arbeiten nach den Grundsätzen der Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität.
- Jeder Lobbyist legt gegenüber Parlamentariern und der interessierten Öffentlichkeit offen, dass er ein Interessenvertretungsmandat hat und für wen erarbeitet.
- Aufbereitete Informationen für Parlamentarier sind nach bestem Wissen und Gewissen unverzerrt, aktuell und nicht irreführend. Informationen werden auch nicht unlauter beschafft.
Die Standesregeln der Schweizerischen Public Affairs – Gesellschaft (SPAG) gehen in die gleiche Richtung, vor allem in der Deklaration, dass Lobbyaktivitäten offen durchgeführt werden sollen.